Einschüchterung
Für Wissenschaftler kann es ungemütlich werden, wenn ihre Forschung ein Medikament in Misskredit bringt.
Die Pharmaindustrie schmückt sich gerne mit dem hohen Ansehen der wissenschaftlichen Medizin. Ganz anders sieht es aus, wenn wissenschaftliche Ergebnisse das Image der Medikamente gefährden. Beispielsweise wenn gefährliche Nebenwirkungen offenbar werden, die den Umsatz einbrechen lassen oder gar die Zulassung in Frage stellen.
Erfährt ein Unternehmen vorab von einem kritischen Artikel, wird oft Druck auf den Autor, seinen Arbeitgeber oder die Zeitschrift ausgeübt, die Publikation zurückzuziehen. Rechtsanwälte der Firma drohen dann dem Autor mit einem Klageverfahren wegen unwahrer Behauptungen und seiner Universität oder der Zeitschrift mit Geldentzug. Persönlicher Besuch von hohen Managern in juristischer Begleitung verstärkt den gewünschten Effekt. Allein die Prozesskosten können den Autor in den Ruin treiben.
Später wird dann oft bekannt, dass die Firmen seit Jahren von den verheerenden Nebenwirkungen wussten. Nach diesem Muster lief es bei den Fehlbildungen durch Thalidomid, bei den kardialen Komplikationen unter Rofecoxib und Rosiglitazon, den vermehrten Suiziden unter Fluoxetin und bei vielen anderen Medikamenten. 1
In einem australischen Prozess gegen Merck wurden interne Dokumente der Firma verlesen, die Anweisungen zum Umgang mit kritischen Ärzten enthielten. Eine E-Mail lautete: „We need to seek them out and destroy them where they live“.2 Der dänische AIDS-Forscher Jens Lundgren bekam beim Internationalen AIDS-Kongress 2008 eine Todesdrohung per SMS, wenige Stunden vor seinem Vortrag über die kardialen Nebenwirkungen von Abacavir. Schon nach der Veröffentlichung seiner Daten im Lancet wenige Monate zuvor war erheblicher Druck auf ihn ausgeübt worden.1
Betrugsfälle und Manipulationen werden in den USA oft durch Whistleblower aus der Pharmaindustrie aufgedeckt. Sie werden eingeschüchtert, solange sie versuchen, zweifelhafte Praktiken von innen heraus zu verändern. Nach dem Gang an die Öffentlichkeit oder vor Gericht verlieren sie regelhaft ihre berufliche Existenz. Kronzeuge des schmutzigen Kriegs der Industrie gegen ihre Kritiker ist der Arzt Peter Rost, vormals Vizepräsident von Pfizer.3
Peter Gøtzsche, führender Vertreter der evidenzbasierten Medizin, fühlt sich an den Mob erinnert, das organisierte Verbrechen. Sein Buch „Deadly medicines and organized crime“ endet mit einem Cartoon: Zwei finster dreinblickende Rocker mit ihren Motorrädern. Sagt der eine: „Ich mag’s nicht, wenn der Gøtzsche behauptet, die Pharmaindustrie gleiche dem organisierten Verbrechen.“ Darauf der andere: „Warum nicht?“ Entgegnet der erste: „So schlecht sind wir nicht. Die bringen viel mehr Leute um als wir.“
- Peter Gøtzsche. Intimidation, threats and violence to protect sales. In: Deadly medicine and organised crime – how big pharma has corrupted healthcare. Radcliffe 2013, S. 236-248.
- Rout M. Vioxx maker Merck and Co drew up doctor hit list. The Australian. 1.4.2009
- Rost P. The whistleblower: confessions of a healthcare hitman. New York: Soft Skull Press, 2006.