Kongresse
All inclusive dank Sponsoring und Pharmaschinken
Inzwischen veröffentlicht die Arzneimittelindustrie ihre Zahlungen an medizinische Kongressveranstalter. Die neue Transparenz hilft, das zugrundeliegende Geschäftsmodell zu verstehen. Große Fachgesellschaften nehmen für Ausstellungsstände und Industriesymposien 1-2 Mio. € ein.1 Die zweite große Einnahmequelle, die Kongressgebühren der Teilnehmer, kann geschätzt werden: bei etwa 200,- € pro Person und rund 5000 Teilnehmern kommen 1 Mio. € zusammen, so dass Industriesponsoring 60% und Kongressgebühren 40% des Kongresses finanzieren. Niedergelassene Ärzte fahren überwiegend auf Einladung einer Arzneimittelfirma auf Kongresse. Wer aus eigener Tasche zahlt, hört von den Pharmavertretern (sofern er noch welche empfängt): „Da sind Sie aber weit und breit der einzige“. Bei Klinikärzten liegt die Schwelle höher, weil die Annahme einer Kongresseinladung dem Arbeitgeber zumindest angezeigt werden muss. Konservativ geschätzt bekommt die Hälfte der Kongressteilnehmer den Eintritt von der Industrie bezahlt. Unterm Strich finanzieren die Firmen etwa 80% des Kongresses. Hinzu kommen die Reise- und Hotelkosten vieler Teilnehmer, außerdem Bustransfers, Essen, Getränke, Weinproben.
Die veranstaltenden Fachgesellschaften wissen: Ohne Pharmagelder ist ein solcher Kongress nicht machbar (und sagen das auch offen). Wir sind da ein kleines bisschen abhängig (das sagen sie nicht so gerne). Sie hoffen auf eine friedliche Koexistenz von Marketing und Wissenschaft. Tatsächlich gibt es auf den großen Kongressen nach wie vor gute wissenschaftliche Beiträge, die den Besuch lohnen. Und die auch Kontroversen aufblitzen lassen. Wenn es um medikamentöse Therapie geht, hört das kritische Denken jedoch meist auf. Bei den Industriesymposien und im wissenschaftlichen Programm werden neue Medikamente von den „Meinungsführern“ mit positiven Studiendaten angepriesen. Schlichte Wahrheiten, die die Euphorie dämpfen könnten, bleiben außen vor. Etwa, dass nur 10 bis 20% der neuen Medikamente einen therapeutischen Fortschritt bringen oder dass Nutzen und Risiken einer neuen Substanz erst nach fünf bis zehn Jahren einigermaßen sicher beurteilt werden können. Aus dem Mund der ärztlichen Meinungsbildner kam auch noch keine Kritik an den schwindelerregenden Preisen dieser Medikamente – zumal diese den schönen Kongress im Sinne eines Kollateralnutzens erst möglich machen. Das finanzielle Kräfteverhältnis lässt es nicht anders zu: die Firmeninteressen behalten im Zweifelsfall gegenüber den ärztlichen Sichtweisen die Oberhand.
Geht es auch anders? Na klar. Nur halt eine Nummer kleiner. Ein Hotelstern weniger. Dafür frischer, kontroverser, weniger Arzneimittel-fixiert, selbstbewusster. Fast alle anderen Wissenschaften machen es vor und stellen Jahreskongresse ohne Industrieunterstützung auf die Beine. In Norwegen sind medizinische Kongresse per Gesetz pharmaunabhängig. In Deutschland zeigt die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) wie es geht, in den USA die American Psychiatric Association. Bleibt die Frage: Sollen wir das alles etwa selber bezahlen? Dazu Altbischof Wolfgang Huber, ehemals Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche in Deutschland und Mitglied des deutschen Ethikrats: „Ich wünsche mir eine Diskussion, in der überzeugend und klar gesagt wird, dass es den allermeisten (Ärzten) nicht weh tun wird.“2
- Bioskop-Forum, Transparenzkalender www.bioskop-forum.de/hinschauen/fortbildungen-und-pharmasponsoring.html
- Huber W. Heilung oder Eigennutz? Interessenkonflikte im ärztlichen Handeln. Vortrag vom 14.3.2014 in Augsburg anlässlich der Mezis-Jahrestagung. http://youtu.be/M7a_fbFFQbk