KoMS-Studie: MS-Betroffene bewerten die Qualität ihrer Therapieplanung häufig schlecht
(03.01.2017) Besteht ein Zusammenhang zur massiven Einflussnahme der Pharmahersteller auf Neurologen?
Die mangelnde Qualität der Diagnoseübermittlung bei Multiple Sklerose (MS) wird seit vielen Jahren von Betroffenen berichtet. Seit 2014 widmet sich das Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen nun dem Thema. Hatte bereits die erste Masterarbeit des Fachbereichs von Sarah Voltmann 1 mittels qualitativer Interviews auf kommunikative Mängel hingewiesen, zeigt nun die von Laura Alexander und Carlotta Halbach unter der Leitung von Thomas Hehlmann durchgeführte KoMS-Studie „Arzt-Patienten-Kommunikation: Diagnoseübermittlung und Therapieplanung bei Multipler Sklerose aus Patientensicht“ 2 beträchtliche Defizite in der Kommunikation bei der Diagnoseübermittlung und Therapieplanung von MS sowie die weite Verbreitung der dort beschriebenen Missstände auf.
Von 183 Teilnehmern vergaben 45% für die Art und Weise der Diagnoseübermittlung die Schulnoten „mangelhaft“ und „ungenügend“. 34% gaben das für die Therapieplanung an. 41% der Betroffenen erklärten, dass ihr Diagnosegespräch maximal fünf Minuten gedauert habe. In 37% der Fälle wurde die Privatsphäre der Teilnehmer nicht gewahrt. Lediglich 25% der Betroffenen empfanden ihren Arzt als empathisch. Partizipativ waren nur 37% der Therapieplanungen und bis zu 61% der Teilnehmer fühlten sich überhaupt nicht bzw. kaum ausreichend über diverse Aspekte ihrer Therapieplanung aufgeklärt.
Man ist in Versuchung, vorschnell den Zeitdruck im heutigen, ökonomisch orientierten Gesundheitswesen für die Misere verantwortlich zu machen, oder die unangenehme Kritik einfach abzutun, indem man eine schlechte Diagnoseübermittlung als unvermeidbar ansieht, da Betroffene den „Überbringer der Botschaft“ für deren Inhalt verantwortlich machen. Doch zum einen gab es in der KoMS-Studie durchaus auch als „gut“ und „sehr gut“ bewertete Arzt-Patienten-Gespräche, was dafür spricht, dass die Teilnehmer der Studie ihre Neurologen differenziert beurteilt haben, zum anderen kamen weitere Details zu Tage, die eine Verbindung zu den Marketingstrategien der pharmazeutischen Industrie möglich erscheinen lassen. Beispielsweise erhielten 11% der Teilnehmer den Großteil der Krankheitsinformationen von einer „MS-Schwester“, also einer von der Pharmaindustrie geschulten und bezahlten „Fachkraft“, deren Unabhängigkeit bezweifelt werden muss. In 12 von 51 Fällen, in denen ein Arzt Angaben zum weiteren Krankheitsverlauf gemacht hatte, handelte es sich um eine negative Prognose, etwa die Ankündigung späteren Rollstuhlbedarfs, sollte man sich gegen eine Immunprophylaxe entscheiden.
14 Teilnehmer trafen die Entscheidung für eine Therapie, weil Ihnen Angst gemacht oder Druck auf sie ausgeübt worden war, Kommunikationswissenschaftler nennen das Bedrohungskommunikation.
Warum Ärzte immer häufiger und früher die Einleitung einer Immuntherapie auch ohne klinische Symptome, bei leichten Verläufen oder gar ohne endgültige Diagnose (CIS) sogar gegen die Wünsche ihrer Patienten forcieren, liegt wahrscheinlich nicht zuletzt an der permanente Berieselung der Neurologen mit von der Pharmaindustrie forcierten oder selbst entworfenen Konzepten wie „Frühtherapie“, „NEDA“ und „Adhärenz“. Und wenn man bedenkt, dass die führenden Gremien zur Entwicklung von Therapieempfehlungen (Leitlinienkommission, KKNMS) finanziell in vielfältiger Weise durch die Pharmaindustrie unterstützt werden (Honorare, Mitarbeitergehälter, Studienfinanzierung), ist der Verdacht einer unangemessenen Beeinflussung der Empfehlungen schwer zu entkräften.
Nathalie Beßler, Christiane Jung, Jutta Scheiderbauer
TAG – Trierer Aktionsgruppe MS
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