Handlungsrichtlinien der DGN zum Umgang mit wirtschaftlichen Interessen: nur kleine Schritte in die richtige Richtung

(22.06.2014) Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hat im Mai Handlungsempfehlungen zum Umgang mit wirtschaftlichen Interessen veröffentlicht . Als erste deutsche Fachgesellschaft hat sie ein umfassendes Dokument zu diesem Thema erarbeitet. Der erste Entwurf wurde zur Kommentierung auf die DGN-Website gestellt.

Die Mehrzahl der sich beteiligenden DGN-Mitglieder bewertete die Vorschläge als unzureichend. Beim DGN-Kongress 2013 folgte eine Podiumsveranstaltung zum Umgang mit Interessenkonflikten. Damit wurde eine Kultur der Offenheit etabliert, die auch auf andere Fachgesellschaften inspirierend wirken kann. Im verabschiedeten Dokument werden die Risiken der ökonomisch motivierten Einflussnahme auf die Neurologie und ihre Fachgesellschaft zutreffend beschrieben. Die Antworten bleiben nach unserer Einschätzung jedoch hinter dem zurück, was jetzt notwendig ist:

1. Die Erstellung von Leitlinien soll nach den Handlungsrichtlinien den Vorgaben der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich-medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) folgen, die bislang allerdings noch recht unkonkret sind. Der Anteil der Leitlinienautoren mit Interessenkonflikten soll AWMF-konform unter 50% liegen. Die Unabhängigkeit der federführenden Autoren wird nicht verlangt, hier sollen Interessenkonflikte nur neben der fachlichen Qualifikation „berücksichtigt“ werden. Weiter reichende Vorschläge aus der internationalen Diskussion werden nicht aufgegriffen, beispielsweise das Divestment, also die Beendigung finanzieller Beziehungen zur Industrie nach Berufung in eine Leitliniengruppe. (www.nationalacademies.org/HMD/2011/Clinical-Practice-Guidelines-We-Can-Trust/Standards.aspx).

 

2. Industriesymposien werden als notwendig angesehen, zukünftig sollen sie evaluiert werden (auch im Hinblick auf Produktneutralität?). Der von anderen Fachgesellschaften erprobte Verzicht auf Industriesymposien, z.B. bei der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin oder der American Psychiatric Association, wird nicht in Erwägung gezogen. Die Aussage „Es liegt im gemeinsamen Interesse von Industrie und DGN, sachliche und korrekte Informationen zu bieten“ ist unzutreffend. Die Firmen sind daran interessiert, ihr Produkt auf glaubwürdige Weise möglichst gut aussehen zu lassen, während die Evidenz-basierte Medizin Nutzen und Risiken unvoreingenommen bewertet. Aus wissenschaftlicher Sicht geht es hier um eine vermeidbare Verzerrung, das sogenannte Industry-Bias.

3. Der DGN-Vorstand soll, wie schon bisher, seine Interessenkonflikte umfassend offenlegen. Zusätzlich soll eine Kommission Empfehlungen aussprechen, wie sich der Vorstand gegen Einflüsse von außen schützen sollte, wie es etwas vage heißt. Dass sich Vorstandsmitglieder von finanziellen Verbindungen zu Firmen enthalten, wird nicht angestrebt. In den USA ist dies bereits Standard ( www.cmss.org/codeforinteractions.aspx ).

4. Die Herausgeber der DGN-Zeitschriften sollen eine erweiterte Interessenkonflikterklärung abgeben. Die in den USA etablierte Unabhängigkeit von der Industrie wird nicht in Erwägung gezogen.

5. Eine von der Industrie unabhängige Versorgung mit Essen und Getränken ist beim DGN-Kongress nicht vorgesehen.

Zusammenfassend schreiben die Handlungsrichtlinien der DGN überwiegend den Status Quo fort und sind inhaltlich kaum als Wendepunkt zu bezeichnen. Der Vertreter von NeurologyFirst in der Autorengruppe (Michael von Brevern) hat sich daher bei der Verabschiedung des Dokuments seiner Stimme enthalten. Der DGN-Vorstand betont, dass das Dokument den Diskussionsstand von 2014 widerspiegelt. Die darin ausgedrückte Offenheit für eine fortgesetzte Debatte begrüßen wir und hoffen auf eine breite Beteiligung der deutschen Neurologen und Neurologinnen!