Geisterautoren
Wenn die wahren Autoren im Dunkeln bleiben
Artikel in wissenschaftlichen Journalen werden von im Titel genannten Autoren verfasst und hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts verantwortet. Bei industrie-finanzierten Medikamentenstudien und Übersichtsarbeiten wird von dieser Praxis zunehmend abgewichen, ohne dass dies für die Leser erkennbar ist.1 Die tatsächlichen Autoren arbeiten häufig für Agenturen, die von der Pharmaindustrie beauftragt werden. Die Erstautorschaft für die Publikation wird dabei einem Meinungsführer des Fachgebiets angeboten, der keinen wesentlichen Eigenbeitrag leisten muss. Eine dänische Untersuchung, die von Ethikkommissionen beratene Studien nachverfolgte, fand Anhaltspunkte für „Geisterautoren“ bei 75% der untersuchten randomisierten Studien mit Industriefinanzierung.2 Richard Horton, Herausgeber des Lancet, bezeichnete das Ghostwriting bei einer Anhörung des britischen Parlaments als „Standard Operating Procedure“.3 Als das Antidepressivum Sertralin auf den Markt kam, beauftragte die Firma Pfizer eine Agentur, 85 Artikel zu diesem Medikament zu koordinieren, einschließlich der Zuweisung von Schein-Autorschaften und Plazierung der Manuskripte in renommierten Fachzeitschriften. Alle Artikel hatten einen positiven Tenor, viele spielten die Nebenwirkungen herunter.4
Begünstigt wird das zunehmende Ghostwriting durch die Vergabe von inzwischen 70% der industriellen Studiengelder an Auftragsforschungsinstitute, die nur für die Durchführung der Studien, nicht aber für deren Publikation zuständig sind.1 So bliebe der Firma nur die Alternative, die Studie unter den Namen ihrer Mitarbeiter zu publizieren, was jedoch unter Marketinggesichtspunkten als nachteilig angesehen wird.
Ghostwriting ist Wissenschaftsbetrug und weitaus schädlicher als etwa Plagiate in staubigen juristischen Dissertationen. Ghostwriting verschleiert Marketingeinflüsse und verhindert, dass Ärzte Nutzen und Schaden von Medikamenten angemessen bewerten können. Die industriellen Auftraggeber zehren dabei von der Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit des Wissenschaftsbetriebs und unterhöhlen gleichzeitig dessen ethische Basis. Da es bisher keine Sanktionen für dieses akademische Fehlverhalten gibt, ist auch das Unrechtsbewusstsein gering. Als Jeffrey Lisse, Erstautor der Vioxx-Studie „Advantage“ von der New York Times damit konfrontiert wurde, dass in seinem Artikel in den Annals of Internal Medicine Todesfälle unter Vioxx unterschlagen worden waren, verteidigte er sich: „Merck hat die Studie konzipiert, finanziert und durchgeführt…Merck kam nach Abschluss der Studie auf mich zu und sagte: ‚Wir wollen Ihre Unterstützung bei der Arbeit an diesem Artikel’. Die erste Fassung wurde bei Merck geschrieben und mir zur Überarbeitung geschickt“.5
- Sismondo S. Ghost management: How much of the medical literature is shaped behind the scenes by the pharmaceutical industry? PLoS Med 2007; 4(9):e286.
- Gotzsche PC, Hróbjartsson A, Johansen HK, et al. Ghostauthorship in industry-initiated randomised trials. PLoS Med 2007; 4: e19.
- Healy D, Cattell D. Interface between authorship, industry and science in the domain of therapeutics. Br J Psychiatry 2003; 183, 22-27.
- Horton R. PI 108, House of Commons-Health-Minutes of evidence.www.publications.parliament.uk/pa/cm200405/cmselect/cmhealth/42/4121604.htm
- Berenson A. Evidence in Vioxx suits shows intervention by Merck officials. New York Times 24.4.2005. www.nytimes.com/2005/04/24/business/24drug.html