Geheimniskrämerei
Studiendaten müssen im Interesse der Allgemeinheit offengelegt werden
Wenn es um die vollständige Veröffentlichung von Studiendaten eines Medikaments nach der Marktzulassung geht, halten sich viele Arzneimittelhersteller bedeckt und verweisen auf den notwendigen Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Das ist in etwa so glaubwürdig als würde ein Autohersteller die Testberichte der Autozeitschriften einziehen und zum schutzwürdigen Gut der Firma erklären. Selbst wenn man dieses Argument akzeptiert, muss das Interesse der Firma gegen die Interessen der Allgemeinheit abgewogen werden. Eine medizinethische Analyse konnte gleich sieben öffentliche Interessen benennen, die einer Geheimhaltung entgegenstehen:1
- Teilnehmer an klinischen Studien nehmen Risiken auf sich. Diese sind ethisch nur vertretbar, wenn der Nutzen für die Allgemeinheit, zu dem die Teilnehmer beitragen wollen, auch tatsächlich erzielt wird. Die Privatisierung und das Verheimlichen von Studiendaten konterkarieren jedoch diesen öffentlichen Nutzen.
- Klinische Forscher brauchen die Daten früherer Studien, um weiterführende Untersuchungen sinnvoll planen zu können.
- Ethikkommissionen brauchen die Vorgängerstudien, um Erfolgschancen und Risiken einer geplanten Studie zu bewerten.
- Autoren von klinischen Behandlungsleitlinien müssen alle Daten kennen, um Nutzen und Nebenwirkungen von Medikamenten einschätzen zu können.
- Patienten und ihre behandelnden Ärzte sind wiederum auf die Empfehlungen der Leitlinien angewiesen, um eine gute Behandlungsentscheidung zu treffen.
- Öffentliche Geldgeber wollen den erwarteten Nutzen und die Risiken eines Projekts kennen, das sie fördern sollen. Andernfalls laufen sie Gefahr, zum Scheitern verurteilte oder irrelevante Studien zu finanzieren.
- Krankenversicherungen müssen den Nutzen und Schaden von Therapien verlässlich bewerten können. Nur so können sie angemessen entscheiden, ob sie die Behandlungskosten übernehmen.1
Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit überwiegen daher die öffentlichen Interessen das Geheimhaltungsinteresse der Hersteller. Allerdings haben einige Firmen in diesem Konflikt inzwischen Prozesse angestrengt, etwa gegen die Europäische Arzneimittelagentur. Es bleibt zu hoffen, dass man sie bei Gericht über den Vorrang der öffentlichen Interessen aufklärt.
- Strech D, Littmann J. Lack of proportionality. Seven specifications of public interest that override post-approval commercial interests on limited access to clinical data. Trials 2012; 13: 100. www.trialsjournal.com/content/13/1/100