Gründungsappell von NeurologyFirst 2012: Für unabhängige Kongresse und Leitlinien!
Dieser Aufruf wurde im Herbst 2012 von 434 Neurologen unterzeichnet.
„NeurologyFirst“ ist eine unabhängige Initiative von Neurologen innerhalb der DGN. Wir rufen die DGN auf, drei Reformschritte zur Stärkung unserer professionellen Autonomie zu gehen. Der Aufruf wendet sich an alle DGN-Mitglieder, die wir per Email erreichen können. Wir bitten Sie, den Appell an neurologische Kolleginnen und Kollegen weiterzuleiten. Die gesammelten Unterschriften werden wir dem DGN-Vorstand übergeben. Über den Fortgang unserer Aktion werden wir auf der Website berichten.
- Die DGN-Jahrestagung muss von der pharmazeutischen Industrie entkoppelt werden.
- Wer Interessenkonflikte hat, kann nicht Autor einer DGN-Leitlinie sein.
- Der DGN-Kongress braucht ein Diskussionsforum zum Thema Interessenkonflikte.
1. Die DGN-Jahrestagung muss von der pharmazeutischen Industrie entkoppelt werden.
Die Entwicklung des DGN-Kongresses ist eine Erfolgsstory; das vielfältige und anspruchsvolle Programm zieht Jahr für Jahr mehr Teilnehmer an. Dabei ist jedoch nicht zu übersehen, dass sich auf der DGN-Tagung zwei Anliegen überschneiden: wissenschaftliche Fortbildung und pharmazeutisches Marketing. Gemessen am Zeit- und Raumkontingent sowie an der Finanzierung des Kongresses herrscht nahezu Parität zwischen beiden. Die wechselseitige Durchdringung ist hoch, erkennbar an den Rednerlisten und den oft gleichlautenden Botschaften im Satelliten- und Fortbildungsprogramm. Bei den Satellitensymposien halten die vortragenden Neurologen zwar nur selten offensichtliche Werbevorträge, keinesfalls jedoch bewerten sie die Produkte des Geldgebers negativ. Damit droht das kritische Potential aus der Deutschen Neurologie „herausgekauft“ zu werden.
Immer dominanter wird dafür ein affirmativer Diskurs zugunsten hochpreisiger neuer Medikamente. Die Erkenntnis, dass Nutzen und Schaden neuer Pharmaka erst nach 5 bis 10 Jahren zuverlässig bestimmbar sind, droht in Vergessenheit zu geraten. Durch die gestaltende Gegenwart der Pharmaindustrie beim DGN-Kongress wird unsere wissenschaftliche Meinungsbildung und damit unsere professionelle Autonomie gefährdet.
Das bisherige Modell stößt auch deshalb an seine Grenzen, weil die Politik zunehmend signalisiert, dass sie die enge Verflechtung von Medizin und Industrie nicht weiter tolerieren will. Nach dem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs zur Annahme von Pharmageldern fordern Presse und Politiker neue gesetzliche Regelungen, um den Industrieeinfluss auf die Ärzteschaft zu begrenzen. Dass es auch ohne geht, hat 2011die American Psychiatric Association gezeigt, als sie erstmals ihren nationalen Kongress ohne Pharmagelder und ohne Satellitensymposien auf die Beine stellte. Wir appellieren an die DGN, diesem Beispiel zu folgen.
2. Wer relevante Interessenkonflikte hat, kann nicht Autor einer DGN-Leitlinie sein.
Interessenkonflikte sind nicht verwerflich, sie gehören zu unserer Berufswelt. Selbstverständlich braucht es Ärzte, die mit der Industrie zusammenarbeiten, beispielsweise zur Entwicklung und Erprobung neuer Medikamente. Problematisch ist es, wenn Ärzte in Leitlinienkommissionen Medikamente bewerten, von deren Produzenten sie Geld und andere Vorteile angenommen haben. Solche Interessenkonflikte sollten für jeden Nutzer erkennbar offengelegt werden.
Inzwischen fordern sowohl das amerikanische Institute of Medicine (IOM) der National Academy of Sciences als auch die AWMF das aktive Management von Interessenkonflikten, das über deren bloße Deklaration hinausgeht. Dieser Schritt ist notwendig, weil eine Befangenheit ja nicht damit endet, dass man sie erklärt. Ein Richter, der einräumt, dass der Angeklagte sein Schwager ist, wird daraufhin nicht als unbefangen angesehen, sondern vielmehr aus dem Verfahren herausgenommen. Dementsprechend sollen nach den Richtlinien des IOM und der AWMF Autoren mit relevanten Interessenkonflikten nicht an der Bewertung der Evidenzen und der Konsensfindung mitwirken. Diesen Kriterien werden auch zukünftige DGN-Leitlinien genügen müssen, schon um Aufnahme in das AWMF-Register zu finden. Wir brauchen eine Gewaltenteilung zwischen Ärzten, die mit der Industrie kooperieren und solchen, die die Leitlinien verantworten, um unsere Patienten vor Fehlbehandlung zu schützen und den Verdacht finanziell motivierter Empfehlungen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Dabei geht es auch um unsere wissenschaftliche Redlichkeit und den guten Ruf unserer Leitlinien.
3. Der DGN-Kongress braucht ein Diskussionsforum zum Thema Interessenkonflikte.
Wir wollen den Umgang mit Interessenkonflikten in unserer neurologischen Fachgesellschaft diskutieren, um Problembewusstsein zu entwickeln und Lösungen zu finden. In der deutschen Ärzteschaft hat sich inzwischen Expertise zum Thema Interessenkonflikte gebildet, von der wir als Neurologen profitieren können. Wenn wir die interne Diskussion vermeiden, werden uns die Entwicklungen von außen einholen, durch Presseberichte, Gerichtsurteile und unerwünschte politische Reglementierungen.
Unsere bisherigen Kontakte zum DGN-Vorstand geben Anlass zur Hoffnung. Ein ähnlich lautendes Schreiben unserer Initiative zum Jahresbeginn 2012 stieß dort auf ernsthaftes Interesse. Die im Juni auf der DGN-Website bekräftigten Regeln zur Deklaration von Interessenkonflikten begrüßen wir als richtigen, aber noch unzureichenden Schritt. Mit unserer Web-Aktion „NeurologyFirst“ wollen wir den angestoßenen Entwicklungen Rückenwind geben.
UNTERZEICHNEN SIE DEN AUFRUF!
Erstunterzeichner
Prof. Dr. Thomas Lempert
CA, Berlin
Dr. Enrico Völzke
OA, Berlin
PD Dr. Michael von Brevern
CA, Berlin
Dr. Matthias Göhmann
niedergel. Neurologe, Darmstadt
Dr. Christian Binder
OA, Berlin
Dr. Stephan Fegers
niedergel. Neurologe, Mönchengladbach
Prof. Dr. Bernd Holdorff
CA i.R., Berlin
PD Dr. Eva Schielke
niedergel. Neurologin, Berlin
PD Dr. Klemens Angstwurm
OA, Regensburg
Dr. Sebastian Pornschlegel
FA, Berlin
Prof. Dr. Andreas Meisel
OA, Berlin
Dr. Joachim Both
niedergel. Nervenarzt i.R., Berlin
Dr. Randall Thomas
OA, Seesen
Dr. Andrea Radtke
OÄ, Berlin
Prof. Dr. Peter Vogel
CA i.R., Berlin
Manfred Dwenger
niedergel. Neurologe, Oldenburg
Dr. Dorothee Römer
niedergel. Neurologin, Berlin
Dr. Andreas Schenkel-Römer
niedergel. Neurologe, Berlin
PD Dr. Felix Schlachetzki
OA, Regensburg
Dr. Gerhard Perchalla
niedergel. Nervenarzt, Berlin
Dr. Annette Mainz-Perchalla
niedergel. Neurologin, Berlin
Prof. Dr. Peter Marx
Ordinarius i.R., Berlin
Dr. Dörte Passow
Weiterbildungsassistentin, Berlin
Quellenangaben
- www.nationalacademies.org/HMD/reports/2009/Conflict-of-Interest-in-Medical-Research-Education-and-Practice.aspx
- www.awmf.org/medizin-versorgung/stellungnahmen/umgang-mit-interessenkonflikten.html
- www.dgn.org
434 Unterzeichner insgesamt
Insgesamt unterzeichneten 434 Erstunterzeichner und Onlineteilnehmer aus der Neurologie bis zum 30.11.2012 den Aufruf. Die Unterschriften verteilen sich dabei wie folgt:
- Chefärzte: 59
- Oberärzte: 145
- Fachärzte: 65
- Weiterbildungsassistenten: 48
- Niedergelassene Neurologen/Nervernärzte: 98
- Niedergelassene Neurologen/Nervernärzte i.R: 19