Dreist: Marketing-Studie mit Patientenakten

(28.11.2014) IMS Health ist ein internationales Marktforschungs- und Consultingunternehmen im „Gesundheitsmarkt“. Die eigene Leistungsfähigkeit stellt das Unternehmen so dar 1:

  • IMS verfolgt über 80 % des Arzneimittelumsatzes weltweit, das sind über 1,4 Millionen Produkte
  • Anonymisierte Informationen zu mehr als 260 Millionen Patienten weltweit bieten Einblick in Behandlungen
  • Über 99.000 Informationsquellen, 768.000 separate Datenquellen weltweit

Wie die Firma an ihre Daten herankommt, erfährt man durch ein aktuelles Anschreiben an deutsche Neurologen:

„Sehr geehrte/r Dr.

An erster Stelle, möchten wir uns bei Ihnen für Ihre Zeit und Aufmerksamkeit die Sie uns widmen bedanken.

Als erfahrenen Arzt möchten wir Sie in Absprache mit der deutschen Ärztekammer hiermit einladen, an unserer vergüteten Onlinebefragung zum Thema Behandlung von Epilepsie teilzunehmen.

Ihre Kenntnisse und medizinische Erfahrung wird uns allen sehr zugutekommen. Vielen Dank für Ihren Einsatz und für Ihre Unterstützung.

Detaillierte Informationen:

Thema: Behandlung von Epilepsie
Dauer: 20 – 45 Min
Fristende: 27.11.2014
Vergütung je nach Patientenakten:
      €40 für 2 Patientenakten, €60 für 4 Patientenakten, €80 für 6 Patientenakten

… „

Wenn man den angebotenen Link anklickt, erhält man folgende Einführung:

Der Fragebogen ist in die folgenden 4 Abschnitte eingeteilt:
1. Abschnitt: Die Anzahl der Patienten, die Sie sehen, und die Behandlungsentscheidungen, die Sie für diese treffen (4-5 min)
2. Abschnitt: Informationen zu 2-6 Patienten mit fokalen Anfällen, die Sie kürzlich gesehen haben (3-5 min pro Patient)
3. Abschnitt: Medikamentöse Therapien zur Behandlung von fokalen Anfällen, die Sie einsetzen und kennen  (5 min)
4. Abschnitt: Ihre Erinnerungen an kürzlich stattgefundene Treffen mit Pharmareferentin/Pharmareferenten“

Als erstes irritiert der grammatisch und inhaltlich verkorkste Satz: „Ihre Kenntnisse und Erfahrung wird uns allen sehr zugutekommen“, der fälschlich einen Nutzen für die Allgemeinheit impliziert. Ebenso schräg ist die „Absprache mit der deutschen Ärztekammer“. Zum einen gibt es keine „deutsche Ärztekammer“, sondern nur die Bundesärztekammer und verschiedene Landesärztekammern; zum anderen ist kaum vorstellbar, dass irgendeine Ärztekammer Marktforschung auf der Basis von Patientenakten absegnet.

Jede wissenschaftliche Studie erfordert eine Beratung durch eine Ethikkommission und eine umfassende Aufklärung und schriftliche Einwilligung der beteiligten Patienten, selbst wenn nur anonymisierte Daten genutzt werden. Die Messlatte dürfte für Marketing-Aktivitäten kaum niedriger liegen. Die Beteiligung am Online-Marketing ist ohnehin keine ärztliche Aufgabe im engeren Sinne – mit der Auswertung einzelner Patienten wird eine weitere Grenze überschritten.

  1. www.imshealth.com/portal/site/ims/menuitem.ec35b98806417dab41d84b903208c22a/?vgnextoid=913bc9e28f44f210VgnVCM10000071812ca2RCRD&vgnextfmt=default