Cochrane Review zu Oseltamivir: das milliardenschwere Versagen der Arzneimittelregulation

(11.04.2014) Etwa 20 Milliarden Euro setzte Roche mit dem Grippemittel Oseltamivir seit 2000 um, vor allem durch die Bevorratung in vielen Ländern anlässlich der Grippeepidemie 2009. Rausgeschmissenes Geld, wie sich nun zeigt. Jahrelang kämpfte die Cochrane-Autorengruppe um Tom Jefferson um die Freigabe aller klinischen Studienberichte zum Grippemittel Oseltamivir (“Tamiflu”), um zunehmenden Zweifeln an dessen Wirksamkeit nachzugehen. Erst die Schützenhilfe durch das öffentliche Fernsehen und das BMJ – einschließlich der vollständigen Dokumentation der Email-Korrespondenz mit Roche im BMJ – führte nach mehr als drei Jahren zur Herausgabe der Daten .1

Das Ergebnis dieser aufwändigsten Cochrane-Analyse aller Zeiten ist ernüchternd 2. Die Krankheitsdauer wird marginal um 0,7 Tage verkürzt. Da gegen Placebo getestet wurde, ist nicht bekannt, ob nicht beispielsweise mit Paracetamol ein vergleichbarer Effekt zu erzielen wäre. Eine Verhinderung von Komplikationen wie Pneumonien oder Krankenhausaufnahmen, Hauptargument für die weltweite staatliche Bevorratung, ist nicht belegt. Dem geringfügigen Nutzen stehen unerwünschte Wirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Nierenprobleme und psychiatrische Komplikationen gegenüber.

Die zugrundeliegenden Studien werden vom Cochrane-Review als anfällig für Verzerrungen eingeschätzt, da sie ausschließlich vom Hersteller finanziert wurden, da gegen Placebo statt gegen aktive Kontrollen getestet wurde, Komplikationen nicht systematisch erfasst und die Publikationen oft von Ghostwritern verfasst wurden. Die Zulassung basierte somit nicht nur auf selektierten, sondern auch methodisch minderwertigen Studien.

Die Cochrane-Autoren fragen nach den politischen Konsequenzen ihrer Analyse: „Das ganze Ökosystem der Arzneimittelbewertung und -regulation ist mangelhaft. Warum wurde dieser analytische Aufwand nicht gefordert, bevor riesige Beträge für dieses Medikament ausgegeben wurden? Warum haben wir ein System der Arzneimittelbewertung und -regulation, das nicht in der Lage ist, Patienten, Ärzte und Entscheidungsträger mit rechtzeitiger, verlässlicher und unabhängiger Information zu versorgen?“2

Roche hat mit Oseltamivir einen betrügerischen Milliardencoup gelandet. Inzwischen ist die Firma der Alltrials-Kampagne beigetreten, verbunden mit der Selbstverpflichtung, auch rückwirkend alle Studiendaten freizugeben. Roche wird unter öffentlicher Beobachtung bleiben.

  1.  Loder E, Tovey D, Godlee F. The tamiflu trials. BMJ 2014;348:g2630
  2.  Jefferson T, Jones M, Doshi P, Spencer EA, Onakpoya I, Heneghan CJ. Oseltamivir for influenza in adults and children: systematic review of clinical study reports and summary of regulatory comments. BMJ 2014;348:g2545.