Neu: „Bad Pharma“ von Ben Goldacre

(16.12.2012)
news_goldacre_authorDer britische Psychiater und vielfach ausgezeichnete Wissenschaftsjournalist Ben Goldacre hat soeben ein Opus magnum der Pharmakritik vorgelegt. In „Bad Pharma“1, das im Februar in deutscher Übersetzung erscheinen wird, zeigt er auf, wie das wissenschaftliche Urteil über neue Medikamente von der Entwicklung über die klinische Prüfung bis zur Vermarktung systematisch verzerrt wird. Treibende Kraft sind die Gewinninteressen der Hersteller, während die Aufsichtsbehörden ihre Kontrollfunktion nur unzureichend wahrnehmen. Das direkte Fälschen von Daten spielt dabei, anders als manche Verschwörungstheoretiker vermuten mögen, keine wesentliche Rolle. Genutzt werden andere Werkzeuge wie nicht-repräsentative Studienpopulationen, Placebos statt Standardtherapie in der Vergleichsgruppe, inadäquat dosierte Vergleichspräparate, Surrogat-Endpunkte, nachträgliches Ändern der primären Endpunkte, Subgruppenanalysen, Nicht-Publikation ganzer Studien, Ghostwriting sowie Einbindung der ärztlichen Meinungsführer in das Marketing.


Die Akteure mögen auf jeder Stufe dieses Prozesses nur graduell von den Standards guter Wissenschaft abweichen (und viele auch gar nicht!). In der Summe ergibt sich jedoch ein Zerrbild, das die Wirkungen neuer Medikamente über- und die Nebenwirkungen untertreibt, zum Schaden aller Patienten – zu denen paradoxerweise auch die gegenwärtigen Nutznießer dieses Milliardenspiels gehören. Die von Goldacre aufgezeigten Mechanismen sind ein massiver Eingriff in unsere täglichen professionellen Entscheidungen, sie erzeugen unnötiges Leid und hunderttausende vermeidbare Todesfälle.

news_goldacre_coverGoldacre schreibt engagiert, manchmal wütend, und belegt seine Kritik mit der inzwischen umfangreichen wissenschaftlichen Literatur über die Praktiken der Pharmaindustrie und deren Wirkungen auf das ärztliche Verhalten. Am Ende jedes Kapitels schlägt er vor, was Ärzte, Patienten, Aufsichtsbehörden und Politik tun können, um die Misere zu beenden. Als erstes reagierte das British Medical Journal. Mit Verweis auf „Bad Pharma“ und die andauernde Verheimlichung der Tamiflu-Daten durch Roche erklärte die Herausgeberin Fiona Godlee, dass das BMJ in Zukunft nur noch klinische Studien publizieren wird, deren Originaldaten der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.2 Dies wird nicht die einzige Resonanz auf Goldacres brisantes Buch bleiben, das innerhalb von 6 Wochen zu einem der meistverkauften wissenschaftlichen Bücher in Großbritannien geworden ist.

  1. Ben Goldacre. Bad Pharma. How drug companies mislead doctors and harm patients. Fourth Estate Publishers, London, 2012.
  2. Fiona Godlee. Clinical trial data for all drugs in current use. BMJ 2012; 345: e7304