Fachgesellschaft

Medizinische Fachgesellschaften werden zunehmend für das Pharmamarketing missbraucht. Neue Regeln können helfen.

Um ihre ärztlichen Mitglieder fortzubilden und in der Öffentlichkeit zu repräsentieren, haben medizinische Fachgesellschaften viel zu tun: sie müssen große Kongresse auf die Beine stellen und klinische Behandlungsleitlinien formulieren, außerdem Zeitschriften herausgeben und eine attraktive Website unterhalten. Fachgesellschaften sind jedoch nicht nur Akteure im Gesundheitswesen, sondern auch Objekte der Begierde. Wo sonst hätte das Pharmamarketing gebündelten Zugang zu tausenden von Ärzten, die mit ihrem Rezeptblock Millionen und Milliarden bewegen können?

Kein Wunder, dass die Industrie inzwischen oft mehr als die Hälfte der Teilnehmer großer Kongresse finanziert, um sie durch Werbegeschenke, Satellitensymposien und Essenseinladungen zu beeinflussen. „Medical education drives this market“ heißt es treffend in einem Businessplan der Firma Parke-Davis. Therapieempfehlungen nach Firmengeschmack gelangen über großzügig honorierte ärztliche Meinungsführer auch ins wissenschaftliche Kongressprogramm und in die Behandlungsleitlinien.

In den USA hat diese Aufweichung wissenschaftlicher Standards bereits zu einer Gegenbewegung geführt. Die Anstöße kamen zunächst von Medizinethikern, die an professionellen Standards erinnerten und zur finanziellen Abnabelung von der Industrie aufforderten.1,2 Daraufhin formulierte der Council of Medical Specialty Societies 2011 ein Regelwerk, das inzwischen alle relevanten US-Fachgesellschaften übernommen haben.3 Dessen Kernforderungen lauten:

  • Das Führungspersonal der Fachgesellschaft darf keine finanziellen Beziehungen zur Industrie haben.
  • Die Herausgeber der Zeitschriften müssen ebenfalls unabhängig sein.
  • Leitliniengremien müssen pluralistisch zusammengesetzt sein; Ärzte mit Industriebeziehungen müssen in der Minderheit bleiben und sich bei Abstimmungen enthalten; der federführende Autor darf keine Interessenkonflikte haben.

Die Industriepräsenz bei Kongressen wurde dagegen nur wenig beschnitten. Inzwischen hat die AWMF, die Dachorganisation der deutschen Fachgesellschaften, etliche der amerikanischen Vorschläge übernommen, insbesondere was die Leitlinienerstellung angeht.4 Das Echo blieb bei den hiesigen Fachgesellschaften bislang verhalten. Da aber auch sie ihre Legitimität schützen müssen, werden sie der Entwicklung nicht ausweichen können.

  1. Lo B, Field MJ. Committee on conflict of interest in medical research. Conflict of interest in medical research, education and practice. Institute of Medicine, 2009.
  2. Rothman DJ, McDonald WJ, Berkowitz CD et al. Professional medical associations and their relationships with industry. JAMA 2009;301:1367-1372.
  3. Council of Medical Specialty Societies. Code for interactions with companies. 2011. www.cmss.org/codeforinteractions.aspx
  4. Empfehlungen der AWMF zum Umgang mit Interessenkonflikten bei Fachgesellschaften
  5. http://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/Werkzeuge/empf-coi.pdf